Jenseits von Raum und Zeit
Unser derzeitiges Verständnis der fundamentalen Naturkräfte beruht auf den
beiden Grundpfeilern Quantenfeldtheorie
und Relativitätstheorie, die in den jeweiligen
Anwendungsbereichen Elementarteilchenphysik und Astrophysik/Kosmologie
mit sehr hoher Genauigkeit getestet und bestätigt sind.
Bei extrem hohen Energiedichten (unmittelbar nach dem Urknall oder im
Zentrum schwarzer Löcher) benötigen wir allerdings eine Synthese der
zugrundeliegenden Prinzipien, da hier weder Quanten- noch Raumkrümmungseffekte
vernachlässigt werden können.
Dies stellt uns vor neue konzeptuelle Probleme, da die Anwendung
der quantenmechanischen Unschärferelation
auf die Schwerkraft (Gravitation) und damit direkt auf die Raum-Zeit
Geometrie letztendlich bedeutet, daß (zumindest klassische)
geometrische Vorstellungen bei "kleinsten Abständen" nicht mehr
angemessen sind.
Die Stringtheorie ist ein Kandidat für eine
konsistente Quantentheorie der Gravitation und führt zugleich zu
einer natürlichen Vereinigung mit den anderen Elementarteilchenkräften.
Sie macht es wahrscheinlich, daß sich in einem
Zwischenbereich (bevor der Begriff der Raum-Zeit-Geometrie sinnlos wird)
die effektive räumliche Dimension erhöht und die nicht-gravitativen
Naturkräfte als Krümmungseffekte in den
unsichtbaren Dimensionen verstanden
werden können.
Während die Idee einer sehr kleinen fünften Dimension als
geometrische Erklärung für Elektrizität und Magnetismus
schon seit den
20er Jahren existiert, brachte die quantenmechanische
Dualität verschiedener Stringtheorien die
neuartige Vorstellung mit sich, daß unsere beobachtbare Raum-Zeit
nur eine niedrigdimensionale Kompenente in einem höherdimensionalen
Kontinuum sein könnte.
Eine Schranke an die Energie, die benötigt wird, um eine solche fünfte
Dimension zu beobachten, kann aus der Energiebilanz der
Supernova SN1987A hergeleitet werden.
Dies ist ein Beispiel dafür, wie die Physik der kleinsten Bausteine
der Materie auf Zusammenhänge mit der Physik der Sterne (Astrophysik)
und mit der Struktur des Universums im Großen (Kosmologie) führt.
Quantenfeldtheorie
Im subnuklearen Bereich werden Materie und Kräfte durch
Quantenfelder beschrieben; das sind, anschaulich gesprochen, aus Energiepaketen
zusammengesezte Kraftfelder.
Diese Objekte haben sowohl Wellen- als auch Teilchencharakter
und entziehen sich unserer durch makroskopische Phänomene geprägten Anschauung.
Sie sind uns nur im Rahmen mathematischer Konzepte faßbar, deren Anfänge an
den Beginn des 20. Jahrhunderts zurückreichen und die noch immer Gegenstand
intensiver Forschung sind.
Die Quantenfeldtheorie bildet die Grundlage für unser
theoretisches Verständnis der
Elementarteilchen
und ermöglicht, von der
Annahme lokaler (punktförmiger) Wechselwirkungen ausgehend, die Berechnungen der
Kräfte zwischen den Materieteilchen. Der (in der klassischen Näherung)
punktförmig gedachte Wechselwirkungsbereich führt allerdings zu
Unendlichkeiten, die im Fall der Gravitation die direkte
Feldquantisierung inkonsistent machen. Den einzigen bekannten
Ausweg bildet die Stringtheorie, in der die elementaren Freiheitsgrade
nicht mehr punktförmig sind.
Allgemeine Relativitätstheorie (Schwerkraft/Gravitation)
Ausgehend von der Massenunabhängigkeit der Bewegung im
Gravitationsfeld
gelang es Einstein, auf der Grundlage des vierdimensionalen Raum-Zeit
Kontinuums der speziellen Relativitätstheorie die Wirkung der
Gravitation als Krümmung dieses Kontinuums zu verstehen.
Die Veränderlichkeit der Raum-Zeit Geometrie, deren Quelle
die Materieverteilung ist, hat drastische
Konsequenzen. Ihre spektakulärste ist wohl
die Existenz von kausal getrennten Raum-Zeit Regionen, den
Schwarzen Löchern. Unter Vernachlässigung von Quanteneffekten kann
Materie zwar in ein Schwarzes Loch eindringen, es jedoch nicht wieder
verlassen. Dies ist mit einer Vergrößerung der entkoppelten Region und damit
ihrer Begrenzung (dem Horizont) verbunden.
Die physikalischen Gesetze,
welche das Verhalten von (stationären) Schwarzen Löchern beschreiben, weisen
eine große Ähnlichkeit mit den Gesetzen der Thermodynamik (Wärmelehre) auf.
Daß diese Gesetze tatsächlich thermodynamischen Ursprungs sieht man allerdings
erst nach
(partieller) Einbeziehung von Quanteneffekten: Aufgrund des sogenannten
Hawking-Prozesses emittiert ein Schwarzes Loch Strahlung einer definiten
Temperatur. Ein mikroskopisches Verständnis der damit verbundenen Entropie
erfordert allerdings eine über die Quantisierung der Materiefelder
hinausgehende echte Quantentheorie der Gravitation.
Unschärferelation, Raum und Zeit
Die Quantentheorie lehrt uns, daß die Energie (bzw. der Impuls) von
"Materiewellen"
nur in ganzzahligen Vielfachen einer Grundquantität vorkommen können, die
proportional zur Frequenz (bzw. zur Wellenzahl) ist. Da nun mögliche
Testobjekte selbst diesen Gesetzen gehorchen müssen, folgt, daß
Energie und Zeit (bzw. Impuls und Ort) zusammen nie beliebig genau
gemessen werden können (Heisenberg'sche Unschärferelation).
Ausgehend von der Ruheenergie E=mc2
eines Elementarteilchens ergibt sich somit eine
Zeitunschärfe und, als Weg, den das Licht in dieser Zeit zurücklegt, die
"Comptonwellenlänge" (die natürliche Größeneinheit für die Ortsunschärfe
eines Punktteilchens der Masse m).
Wenn wir nun die Schwerkraft in unsere Überlegung einbeziehen, so bildet ein
(naiv betrachtet) punktförmiges Elementarteilchen ein Schwarzes Loch, dessen
Schwarzschild-Radius mit der Masse wächst, während die Compton-Wellenlänge
kleiner wird. Bei der sogenannten Planckmasse von ungefähr
1019GeV/c2
(das ist etwa 1019 mal die Masse eines Protons, bzw.
1016 mal die höchste in Teilchenbeschleunigern erzielte Energie)
rutscht nun die
Comptonwellenlänge eines Punktteilchens in seinen eigenen Horizont (der gerade
mal 10-33cm erreicht hat, ein 1020-stel der Größe eines
Atoms!), sodaß hier der Unterschied zwischen
Elementarteilchen und Schwarzem Loch verschwimmt und die
Raum-Zeit Geometrie prinzipiell nicht mehr vermessen werden kann.
(Der "kürzeste Augenblick" wäre dann die Zeit, die das Licht braucht, um diese
sogenannte Plancklänge zurückzulegen.)
Wegen dieser fundamentalen Unschärfe ist dann die Frage nach den
"kleinsten" Bausteinen der Materie in ihrer ursprünglichen
Form nicht mehr sinnvoll und muß durch
neue Konzepte ersetzt werden.
Die entsprechende extrem hohe Energie pro Teilchen kann auch in eine
Temperatur umgerechnet werden, die im Universum nur unmittelbar nach dem
Urknall (etwa 10-40 Sekunden lang) herrschte.
Aus den Quantenfluktuation in der darauffolgenden Epoche sind vermutlich auch
die Dichteschwankungen entstanden, die im weiteren Verlauf der kosmischen
Entwicklung zur Bildung von Galaxien und Galaxienhaufen führten.
Stringtheorie
Die elementaren Freiheitsgrade der Stringtheorie sind eindimensionale Objekte
(strings = Saiten = Fäden mit Spannung). Wie eine eingespannte Saite besitzen
sie Grund- und Oberschwingungen. Ihre (quantisierten) Schwingungsmoden
werden nun mit den
Elementarteilchen identifiziert. Wie im Bild gezeigt, können diese
Ojekte wechselwirken, indem sich die durch ihre Zeitentwicklung im Raum-Zeit
Kontinuum überstrichenen Flächen (die sogenannten Weltflächen)
in einem kontinuierlichen Prozeß vereinigen und wieder aufspalten. So
vereinheitlicht die Stringtheorie sowohl die verschiedenen Typen von
Elementarteilchen (als Schwingungszustände eines fundamentalen Objekts)
als auch deren verschiedene Wechselwirkungen (durch die einfache Dynamik der
zweidimensionalen Weltfläche im Raum-Zeit Kontinuum).
Die Erweiterung der Wechselwirkungspunkte der Teilchenphysik zu glatten
Wechselwirkungsbereichen liegt der Konsistenz der Stringtheorie bei
kleinen Abständen zugrunde.
Konsistenz bei großen Abständen erfordert Supersymmetrie (Superstrings)
und erklärt damit auch die Existenz der Fermionen (etwas vereinfacht können
wir die Fermionen = Fermi-Teilchen mit Materie und die Bose-Teilchen mit
Kraftfeldern identifizieren).
Bei sehr
großer Spannung werden die "Fäden" sehr kurz (man kann hier an die
Plancklänge denken, obwohl die Längenskala der Stringtheorie durchaus auch
wesentlich größer sein könnte), und wir sehen bei entfernter Betrachtung
nur noch die punktförmige Wechselwirkung punktförmiger Elementarteilchen.
Fünf (und mehr) Dimensionen
Kaluza und Klein haben 1921 und 1926 vorgeschlagen, den Elektromagnetismus
im Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie als Krümmungseffekt in einer
sehr kleinen fünften Dimension aufzufassen.
Diese Idee läßt sich theoretisch auf sehr ansprechende Weise
realisieren, fand aber ein halbes Jahrhundert lang wenig Beachtung, weil eine
experimentelle Überprüfung ihrer Konsequenzen nicht möglich war. Erst mit der
Konstruktion der supersymmetrischen Erweiterung der Gravitationstheorie
(SUGRA=Supergravitation) und der Frage, ob erweiterte
und/oder
höherdimensionale Supersymmetrie die Inkonsistenz der Quantengravitation
beheben kann, wurden diese Überlegungen wieder aktuell. Inzwischen waren
allerdings die Kernkräfte entdeckt und, analog zum Elektromagnetismus, als
Eichtheorien formuliert worden, sodaß eine geometrische Vereinheitlichung
der Naturkräfte nunmehr zumindest ein 11-dimensionales Raum-Zeit Kontinuum
erfordert. 11 ist aber zugleich die maximale Dimension, in der eine
SUGRA existiert. Dieses Zusammentreffen weckte große
Hoffnungen, die sich allerdings vorerst nicht erfüllten, weil auch die
11-dimensionale SUGRA an unheilbaren Divergenzen krankt.
In dieser Situation löste 1984 eine Arbeit von Green und Schwarz die erste
Stringrevolution aus: Es stellte sich nämlich heraus, daß Superstrings
automatisch auf eine konsistente 10-dimensionale SUGRA mit
Paritätsverletzung führen (d.h. es gibt, wie in der Natur beobachtet, nur
linksdrehende Neutrinos, aber keine rechtsdrehenden; die Konstruktion einer
konsistenten SUGRA mit dieser Eigenschaft war bis dahin nicht gelungen).
Die Superstringtheorie ist darüber hinaus die einzige bekannte Theorie, die
eine Vorhersage für die Raum-Zeit Dimension liefert, und die Vorhersage ist
D=10. Damit wurde aus der Idee von Kaluza und Klein viele Jahrzehnte später
ein plausibles Szenario: Wir leben in einer zehndimensionalen Welt.
Inzwischen hat sich allerdings die Palette der Möglichkeiten noch erweitert,
denn Fortschritte im Verständnis von Quantenphänomenen in
Stringtheorien lösten 1995 die zweite Stringrevolution aus: Es stellte
sich nämlich heraus, daß die (Typ IIA) Stringtheorie im Bereich starker
Kopplung eine zusätzliche Dimension generiert, sodaß (nun unter dem
Namen "M-Theorie") die elfte Dimension zu neuen Ehren kam.
Nicht nur über die Zahl der verborgenen Dimensionen, sondern auch über
ihre Größe ist noch nicht das letzte Wort gesprochen: Aus Dualitäten zwischen
den fünf verschiedenen 10-dimensionalen konsistenten Stringtheorien haben wir
nämlich gelernt, daß die unsichtbaren Dimensionen nicht unbedingt klein sein
müssen, sondern daß die für uns beobachtbare Raum-Zeit Physik möglicherweise
auf (geladenen) "3-dimensionalen Membranen" (sogenannten "Dirichlet
branes") in einem höherdimensionalen Kontinuum lokalisiert ist. Diese Objeke
sind konsistente Lösungen der effektiven zehn- bzw. elfdimensionalen
String-Bewegungsgleichungen und führen zu großen Quanteneffekten,
die frühere Vorhersagen der String-Phänomenologie drastisch modifizieren
können.
In einem der untersuchten Szenarien wird zum Beispiel die Physik in einem
energetischen Zwischenbereich zuerst 5-dimensional, bevor dann später alle
10 oder 11 Dimensionen ins Spiel kommen. Als Analogie kann man sich ein
enges Tal vorstellen, aus dem man erst durch Aufwenden einer Mindestenergie
entkommen kann. Entsprechend könnte sich die fünfte Dimension in
hochenergetischen Prozessen der Elementarteilchenphysik
bei Beschleunigerexperimenten, aber auch durch
Abstrahlung von Gravitationswellen in der Energiebilanz
von Supernovaexplosionen bemerkbar machen.
Dualität
Der Begriff der Dualität bedeutet in der Quantenfeldtheorie, daß
Modelle mit unterschiedlichen klassischen Freiheitsgraden und/oder
Kopplungsstärken auf äquivalente Quantentheorien führen und somit ein
bestimmtes physikalisches Modell
durch verschiedene klassische Ausgangspunkte realisiert werden kann,
die sich nach der Quantisierung nicht mehr unterscheiden.
In Unkenntnis der exakten Quantenkorrekturen ging man lange Zeit davon aus,
daß es fünf verschiedene konsistente Superstringtheorien (in 10 Dimensionen)
gibt: Typ I entspricht offenen Strings ("relativistische Schnüre mit freien
Enden"), Typ IIA
und IIB kommen, ebenso wie die beiden heterotischen Varianten mit Eichgruppen
SO32 bzw. E8xE8,
von geschlossenen Strings ("supersymmetrische Gummiringerl").
Als klassische Theorien lassen sich diese klar unterscheiden. Als exakte
Quantentheorien sind sie aber vermutlich durch Variation gewisser Parameter
(Vakuumerwartungswerte von masselosen Skalarfeldern, genannt Moduli)
kontinuierlich miteinander verbunden.
String-Dualitäten führen also zu der Vorstellung eines Kontinuums von
Stringtheorien (genannt Moduliraum), deren Analyse uns aber derzeit nur in
gewissen Grenzfällen möglich ist, in denen die exakte Quantentheorie gut
genug durch eine klassische Beschreibung angenähert werden kann.
Solche Grenzfälle sind, neben den fünf klassischen Superstring-Theorien und der
M-Theorie, eine Vielzahl von niedrigerdimensionalen Modellen, die derzeit
Gegenstand intensiver Forschung sind.
Der praktische Wert dieser Dualitätshypothese ist, daß man damit exakte
Quantenkorrekturen in einer der genannten Stringtheorien durch eine
klassische Rechnung ermitteln kann, die allerdings von anderen
"elementaren Objekten" ausgeht (bis hin zu einer unterschiedlichen
Dimension des zugrundegelegten Raum-Zeit Kontinuums). Mit derartigen Rechnungen
wurde die Hypothese der Dualität aller konsistenten Stringtheorien in den
letzten Jahren ausgiebig getestet und bestätigt.
Weiterführende Links & Informationen
Auf den folgenden englischsprachigen Web-Pages finden sich viele
Informationen über String-Theorie und verwandte Gebiete für Laien und
Spezialisten:
Allgemeine links zu Elementarteilchenphysik:
Last modified: April 25, 1999
by
Maximilian.Kreuzer@tuwien.ac.at .
[URL:
http://hep.itp.tuwien.ac.at/~kreuzer]